Harry Potter und das verwunschene Kind © Manuel Harlan
Harry Potter und das verwunschene Kind © Manuel Harlan
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J.K. Rowlings „Harry Potter und das verwunschene Kind“ im Mehr! Theater Am Großmarkt Hamburg

Muggel-Generationenkonflikte in Hogwarts Zaubererfamilien

Mit einer Erstauflage von 500 Büchern von „Harry Potter und der Stein der Weisen“ am 26. Juni 1997 wurde ein Stein ins Rollen gebracht, der einen kleinen Zauberlehrling und seine Schöpferin Joanne K. Rowling zu ungeahntem Ruhm katapultierte. In insgesamt sieben verflixten Schul- und Lebensjahren verfolgten kleine und nicht selten auch große Leser die Entwicklung Harry Potters vom einsamen Waisenjungen, der unter der Treppe seiner Tante schlafen musste, zum Helden der Zaubereischule Hogwarts, der den dunklen Lord Voldemort mit seinen Todessern in einer epischen Schlacht besiegte. Die sieben Bücher verkauften sich weltweit 500 Millionen Mal in 80 Sprachen und wurden zwischen 2001 bis 2011 in acht Teilen zur kommerziell erfolgreichsten Filmreihe der Kinogeschichte für die Leinwand adaptiert. Die folgenden fünf „Phantastischen Tierwesen“ Filme erzählen seit 2016 die Vorgeschichte Hogwarts, dessen dritter Teil „Dumbledores Geheimnisse“ Mitte 2022 ins Kino kommen wird.

Eigentlich war es unumgänglich, dass „Harry Potter“ seinen Weg auch auf eine Theaterbühne finden würde. Autor Matt Lang, „Glee“-Star Darren Chriss und A.J. Holmes (Musik) schrieben für die Theatergruppe StarKid Productions „A Very Potter Musical“, das am 09. April 2009 in Michigan mit Darren Chriss als Titelfigur uraufgeführt wurde. Auf YouTube erfreut sich diese musikalische „FanFiction“ in 25 Video-Teilen mit über 34 Millionen Aufrufen international ungebrochener Aufmerksamkeit.
 

Für die offizielle Umsetzung eines Potter-Stoffes für die Bühne hatten Autor Jack Thorne und Regisseur John Tiffany gemeinsam mit den Produzenten Sonia Friedman und Colin Callender die Vision eines Theaterstückes mit einer Handlung, die 19 Jahre nach dem letzten Buch einsetzen und die Story der erwachsenen Helden der Buchreiche fortsetzen sollte. Und J.K. Rowling war von der Idee ebenfalls begeistert, ihre Geschichte in der anderen Erzählform Theater weiterzuspinnen. Fünf Jahre Entwicklungszeit brachten die Erkenntnis, dass die Fortsetzungsgeschichte unmöglich in 2 Stunden erzählt werden konnte, und die innovative Idee, die Handlung in zwei Teile aufzuspalten, fand auch bei den Produzenten ein offenes Ohr. Die Weltpremiere im Londoner Palace-Theatre am 30. Juli 2016 sah zurück auf einen spektakulären Ticketvorverkauf, bei dem bereits nach 8 Stunden für beide Teile 175.000 Tickets online reserviert wurden und das Ticketsystem unter dem Ansturm zusammenbrach. Bereits einen Tag nach der Premiere, am Geburtstag von Harry Potter und Autorin Rowling, erschien das Drehbuch zum Stück als Hardcover und Download. Es wurde zur „am schnellsten verkauften Textfassung eines Bühnenwerks“ aller Zeiten und landete sofort auf Platz 1 der Bestsellerliste. Bei den Olivier Awards stellte „Harry Potter and the Cursed Child“ 2017 mit elf Nominierungen und neun gewonnenen Auszeichnungen gleich zwei Rekorde in der Geschichte der höchsten Auszeichnung im britischen Theater ein und verdiente den Preis für den besten Regisseur, besten Schauspieler, beste Nebendarsteller (männlich und weiblich), beste Ausstattung, besten Sound, Licht, Kostüme und bestes neues Stück.

Nach London folgten am 22. April 2018 der Broadway (mit sieben Tony Awards ausgezeichnet), am 16. Januar 2019 Melbourne und am 23. Oktober 2019 San Francisco in einer speziellen, einteiligen Version, und für 2022 stehen Premieren in Toronto und Tokyo an. Am 15. März 2020 sollte die Show im für 42 Millionen Euro umgebauten Mehr! Theater am Großmarkt in Hamburg mit Vorschusslorbeeren von rund 250.000 im Vorverkauf umgesetzter Tickets glanzvolle Deutschlandpremiere feiern, die allerdings zwei Tage vorher wegen der Covid19 Pandemie abgesagt werden musste. Vom Oktober 2020 musste auf April 2021 und schließlich auf den 05. Dezember 2021 umdisponiert werden. Die besuchte Medienpremiere fand am 04. Dezember 2021 unter 2G+ Bedingungen inklusive tagesaktuellem Corona-Test und Maskenpflicht während des langen Tages für Teil 1 und 2 statt.

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Die Handlung

Harry Potter leitet mit seinen 37 Jahren im Zaubereiministerium die Abteilung für magische Strafverfolgung und ist immer noch glücklich mit Ginny verheiratet, mit der er drei schulpflichtige Kinder hat. Sein jüngster Sprössling Albus Severus leidet unter der Bekanntheit des Namens Potter, dem er in seinem ersten Schuljahr kaum gerecht werden kann. Auf der Fahrt nach Hogwarts freundet er sich ausgerechnet mit Scorpius, Sohn von Draco Malfoy an. Die beiden Außenseiter passen charakterlich besser zusammen als mit der ausgezeichneten Quidditch-Spielerin Rose, Tochter von Hermine und Ron Granger-Weasley. Amos Diggory hat nie verwunden, dass sein Sohn Cedric beim Trimagischen Turnier vor so langer Zeit auf Voldemorts Befehl von Peter Pettigrew getötet wurde. Albus Severus sieht hier die Chance, den vielleicht größten Fehler in der Karriere seines Vaters auszubessern. Zusammen mit Cedrics Cousine Delphi und Scorpius stehlen die drei aus dem Zaubereiministerium den letzten Zeitumkehrer, um durch eine Zeitreise den Mord an Cedric zu verhindern. Mit jedem Anlauf, den die drei Verschwörer starten, entstehen jedoch alternative Zeitlinien mit immer verheerenderen Auswirkungen nach den Sprüngen „zurück in die Zukunft“. Und als endlich wieder alles halbwegs normal zu sein scheint, zeigt das „verwunschene Kind“ sein wahres Gesicht, um mit einer neuen Prophezeiung Voldemorts Erbe anzutreten…

Eine zauberhafte Show

Auch wenn die Presse nach der Deutschland-Premiere immer wieder vom „Harry Potter Musical“ spricht, sei hier noch einmal klargestellt, dass „das verwunschene Kind“ kein Musical, sondern reines Sprechtheater mit einer ganzen Menge zauberhafter Magie ist. Zwar gibt es einen Tanz der Zauberstäbe der Hogwarts Erstklässler, der brillant von Movement Director Steven Hoggett choreografiert wurde, die restlichen „Bewegungen“ der Darsteller beschränken sich jedoch auf sehenswerte Zauberduelle, die teilweise in Slow-Motion für einige Überraschungen sorgen, und die rund 80 fließenden Szenenwechsel, bei der die Darsteller die Requisiten mit zackigen Armbewegungen unter den weiten Zauberer-Roben verschwinden lassen. Die atmosphärische Musik von Imogen Heap dient ähnlich einem Soundtrack beim Film zur Untermalung der Szenen, auch wenn sich der Musicalverwöhnte Zuschauer manchmal wünscht, dass die Darsteller nun endlich zu Singen anfangen sollten. Die bestens verständliche Sprache wird mit dem raffinierten Sounddesign von Gareth Fry mit 20-mal so vielen Lautsprechern wie in einem durchschnittlichen Kino an alle 1670 Plätze im Theater verteilt. Das Bühnenbild von Christine Jones ist in seiner schlichten Einfachheit zugleich spektakulär wie zauberhaft. Da das Stück auf dem Bahngleis 9 ¾ in Kings Cross beginnt, sind Koffer das wichtigste Requisit der Show und mit der Phantasie der Zuschauer setzen sich diese Koffer zu Zugabteilen, Grabsteinen in Godrics Hollow, Zimmereinrichtung im Zaubereiministerium oder den Gemeinschaftsräumen der vier Häuser von Hogwarts zusammen. Auch zwei Treppen und sprechende Bücherwände lassen genug Raum für die insgesamt 35 Schauspieler der Show in den abwechslungsreichen Kostümen von Katrina Lindsay, die als Hommage an die Verfilmungen noch Platz für eigene Kreationen bieten. Die Magie der Show, entwickelt von Jamie Harrison, funktioniert im ausgeklügelten Lichtdesign von Neil Austin besonders gut, da in den tiefen Schatten so mancher Trick hinter der perfekten Illusion verborgen bleibt. Der Einsatz von Vielsaft-Trank, der eine Person in eine andere verwandelt, die Portschlüssel, die eine Person durch den Hörer einer Telefonzelle ziehen oder das Flohnetzwerk, das Zauberer durch brennende Kamine reisen lassen, machen beim Zusehen mindestens genauso viel Spaß wie actiongeladene Zauberduelle mit viel Pyrotechnik, bei der die Protagonisten nicht selten durch die Luft fliegen. Dass bei so viel Technik hinter den Kulissen die Magie schon mal auf der Strecke bleiben kann, beweist eine 10-minütige Spielunterbrechung der Medienpremiere, nach deren Behebung die Dementoren aber umso schöner durch den Theatersaal schweben und mit ihrem Kuss die Seele ihrer Feinde aussaugen.
 

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„Harry Potter und das verwunschene Kind“ ist für Fans der Bücher und Filme gedacht und verlangt ein gewisses Maß an Vorkenntnissen über die Zaubererwelt, und selbst mit diesen muss man sich erst einmal durch die Charaktere hangeln, um zu verstehen, wer gerade seinen Zauberstab schwingt. Mein Tipp für die Zuordnung der Protagonisten zu den Zaubererfamilien sind die Haare – hier zeigt sich das gelungene Konzept des Maskenbilds von Carole Hancock. Die Weasleys sind rothaarig, die Malfoys blond und die Grangers tragen einen schlammblütigen Wuschelkopf. Jillian Anthony spielt die hochgewachsene Hermine mit der richtigen Portion Hochmut und Stolz, die sie schon in den Filmen so liebenswert gemacht hat. Wie in anderen internationalen Theaterproduktionen wird sie wie Tochter Rose (Madina Frey), die all ihre Charaktereigenschaften in einer jüngeren Version vereint, von dunkelhäutigen Darstellern verkörpert. Markus Schöttl spielt einen nachdenklichen Harry Potter, der gefühlstechnisch nicht zu seinem jüngsten Sohn Albus Severus (Vincent Lang) durchdringen kann. In den beinahe langatmigen Vater-Sohn Dialogen, die die ansonsten rasante Storyline abbremsen, spiegelt sich aber das Engagement J.K. Rowlings für ihren Verein „Lumos“ wider, der sich dafür einsetzt, dass Kinder nicht in Waisenhäusern aufwachsen müssen, sondern ein Recht auf Familie haben sollen. Sarah Schütz als gutherzige Mutter Ginny hat immer die passenden, schlichtenden Worte, wenn der Generationenkonflikt zu stark ausufert. Alen Hodzovic hat als alleinerziehender Vater Draco Malfoy mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Mathias Reiser spielt einen hyperaktiven Scorpius mit sich manchmal heftig überschlagender Stimme, dessen größte Angst es ist, im Inneren ein böser Zauberer im Hause Slytherin zu werden, der aber offensichtlich mit einem reinen Herzen ausgestattet ist und für seinen neuen Freund alles tun würde. Sebastian Witt spielt Ron Weasley genauso tollpatschig und liebenswert ungeschickt, als hätte er sich seit seiner Schulzeit vor 19 Jahren nicht verändert. Hans-Jürgen Helsig ist ein gewaltig imposanter Hagrid, der insbesondere bei den Zeitsprüngen als Erzähler die Handlung hilfreich erklärt. Anita Maria Gramser repräsentiert als Professor McGonagall würdevoll die Schulleiterin Hogwarts, während Heidi Jürgens denselben Part in einer alternativen Realität als grausame Dolores Umbridge komplett umkehrt. Glenna Weber ist als maulende Myrte die amüsanteste Highlight-Nebenrolle der Show.

Fans des Harry Potter Universums bekommen mit „Harry Potter und das verwunschene Kind“ als achte Geschichte eine sehenswerte Fortsetzung präsentiert, die mit dem Medium Theater wesentlich besser umgesetzt wird als es das Lesen des Textbuches suggeriert. Die reine Spielzeit beider Teile von über 5 Stunden vergehen wie im Fluge. Wenn das Mehr! Theater am Großmarkt im Schwarzlicht weitere mysteriöse Geheimnisse offenbart und die Merchandise Stände ihr Angebot am Ende von Teil 1 passend zur Handlung wechseln, erkennt man die Detailverliebtheit, die zu einem Gesamterlebnis verschmelzen. Bei Premium-Ticketpreisen von bis zu 400 Euro für Teil 1 und 2 ist die Show sicherlich ein teures, aber dennoch sehenswertes Vergnügen, das man sicherlich nicht so schnell vergessen wird!

© Text: Stephan Drewianka, dieser Bericht erscheint ebenfalls in der Musical Fachzeitschift, Ausgabe 115, 01-22
© Fotos: Manuel Harlan (Szenenfotos), Jochen Quast (Theater, Schlussapplaus), Hergen Schimpf (Cast)

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